Foto von Claus  
   

"Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 1993"
"Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Oktober 1993 von Michael Stude"
"Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Oktober 1993 von Jürgen Schipper"
 
Einige Kunstwerke der Ausstellung finden sie in der Galerie.
 

(Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 1993)
 
Foto HAZ Eine Maschinen-Mensch Montage aus Maschendraht und Elektronikteilen, ein Handspielkasten sowie ein Kleiderständer mit Handabgüssen aus Gips weckten bereits im Eingangsbereich der St. Markuskirche das Interesse der Besucher.
 
Im Rahmen seiner beeindruckenden Ausstellung "Maschinenmenschen" stellte der Künstler Claus Caninenberg im Innenraum der Kirche Objekte in "Zeit und Raum" -Montagen von Prüfkörpem, (Gestein-)Maschinen und Elektronikteilen sowie Maschinenmenschen "Öl auf Leinwand" aus.
 
Claus Caninenberg, geboren 1938 in München, war als Dipl.Ing. für Tiefbau von 1965 bis 1993 an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover tätig. Er lebt und arbeitet heute in Hellental im Solling und stuft sich künstlerisch als Autodidakt ein.
 
In über zwanzig Einzelausstellungen stellte der vielseitige Künstler Ölbilder, Radierungen sowie Skulpturen aus und beteiligt sich seit zwanzig Jahren an zahlreichen Gruppenausstellungen.
 
Welche Bedeutung und Verantwortung hat der Mensch im zeitlichen Spektrum von Gegenwart und Zukunft? Die Frage beantwortet Claus Caninenberg in seinen Arbeiten mit Hilfe technischer Symbole, die Kräfte und Verbindungen sichtbar machen.
 
Der transparente "Maschinenmensch" - eine Aufforderung zum verantwortlichen Handeln. (Mump)
 
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Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Oktober 1993 von Michael Stude
 
Wir werden in diese Welt hineingeboren, aber diese Welt braucht uns nicht... Dieser Gedanke Elie Wiesels spiegelt das Spannunsgfeld des Einzelnen in unserer "modernen" Welt:
  • durch perfektionierte gesellschaftliche Abläufe und Strukturen einzelnen ein enger Rahmen gesetzt
  • industrielle und technische Notwendigkeiten und Zwänge setzen dem einzelnen enge Grenzen
Foto Abgelegt
Abgelegt Skulptur110 x 130 cm, 1993
Das Individuum mit seinem Anspruch auf Freiheit, auf individuelle Entfaltung und Selbstbestimmung ist in Gefahr, zu einem funktionierenden Element dieser Zwänge reduziert zu werden.
Claus Caninenberg fragt nach diesen Widersprüchen. In seinen Arbeiten will er die Gefahren -aber auch die Verantwortung- des Einzelnen in verschiedenen Abhängigkeiten sichtbar machen.
Sein Mittel sind die bildende Kunst und die Technik.
 
Den Grund für die ungewohnte verbindung, über den Menschen in dieser Form nachzudenken, finden wir in seiner Biographie:
1938 in Schwabing geboren, lernt C.C. schon früh Mittel der Bildenden Kunst als Form der Auseinandersetzung kennen. Sein Freiheitsdrang ist so groß, daß er schon in jungen Jahren aus den gewohnten gesellschaftlich vorgegebenen Bahnen ausbricht. Er absolviert eine Ausbildung zum Maschinenschlosser, wird später MaschinenbauTechniker und schließlich Dipl. Ing. für Tiefbau. Von 1965-1993 war er an der Bundesanstalt fur Rohstoffe und Geowissenschaften in Hannover tätig. In dieser Zeit war er viele Jahre in Gabun, Kolwnbien und Jordmkn tätig. Diese Auslandsaufenthalte trugen wesentlich dazu bei, daß er die Probleme der Menschen dieser Länder hautnah kennenlernte und für die Bedrohungen des Menschen sensibiliesiert wurde.
 
Sein Fragen und Nachdenken über den Menschen und seinen Platz in dieser Welt nimmt in den ersten Bildem mit "Maschinemenschen" sichtbare Gestalt an. In einer Ausstellung in Amman stellt C.C. seine Maschinenmenschen 1986 erstmals öffentlich vor, ein Jahr später werden die Ölbilder erstmals in Deutschland gezeigt.
Damit setzt im Schaffen C.C.s eine Phase der intensiven künstlerischen aber auch ethischen Auseinandersetzung um den Menschen als Tel dieser Welt, als Teil dieser Schöpfung ein.
Es entstehen immer neue "Maschinenmenschen", in denen er ein breites Spektrum menschlicher Abhängigkeiten transparent macht. Mit technischen Symbolen werden Verankerungen, Fundamente, Ventile, Verschaubungen oder lösbare und unlösbare Verbindungen deutlich.
 
Betrachten wir einige Ölbilder genauer.
 
Kreuzhang:
Durch das Hängen in den Ringen ist der dargestellte Mensch nur an zwei Punkten fixiert. Was passiert, wenn nur ein fester Punkt ausfällt. Welche Kräfte werden dann wirksam, welchen Belastungen und Gefahren ist der Turner dann ausgesetzt.
 
Oder der Springer:
Welche Kraft muß er aufwenden, um über die Hürde zu kommen. Mit welcher Energie verdrängt er die anderen. Was kommt nach dem Überwinden der Hürde?
 
In allen Bildern wird die Polarität von Ruhe und Bewegung deutlich. Es gibt immer einen -oder mehrere Punkte, der die Grenze zwischen beiden markiert. Punkte, die Kräfte sichtbar machen. Punkte, die unterschiedliche Entscheidungen möglich machen. Statik und Dynamik mit dem entscheidenden Punkt sind ein wichtiges Merkmal in C.s Bildern.
Auf den ersten Blick können die physikalischen Kräfte, die er mittels technischer Syrnbolik in den Menschen, in menschliches Zusammenleben projiziert, als einfache mechanische Darstellung mißverstanden werden. C. will keine wie auch immer gearteten "Schaltpläne" des Menschen mit einfachen kausalen Lösungen liefern. Seine Symbolik impliziert neben dem technischen Ablauf auch eine ethische Komponente. In seinen Bildern lassen sich bei allen bedrückenden und zum Teil ausweglos erscheinenden Abhängigkeiten immer Entscheidungspunkte entdecken. (Einfache Lösungsrezepte wird man allerdings vergeblich suchen.) Die Übertragung auf den Menschen bleibt dem Betrachter überlassen.
 
Neben den Belastungen und Gefährdungen für den einzelnen werden in C.s Bildern auch bleibende Veränderungen und Verformungen deutlich. C. verwendet hier z.B. den Werkstoff Stahl. Wird die elastische Phase dieses Materials überbeanspracht, bleiben Verformungen.
Bleibende Verformungen fahren zu neuen Situationen. Übertragen auf den Menschen heißt das, es werden neue Orientierungen -oft außerhalb des bisherigen Bereiches notwendig. Verformte Materialien, verformte Menschen werden im funktionierenden System nicht mehr oder kaun noch gebraucht.
 
Damit bekommt das Nachdenken über den Menschen eine weitere Dimension: Die Einordnung in Zeit und Raum.
C. wählt für diese Auseinandersetzung eine andere Form. In seinen Skulpturen und Objekten verbindet er Dinge, die eigentlich so nicht zusammengehören. Abfälle aus wissenschaftlichen Untersuchungen und technische Bausteine erhalten einen neuen Bezug. C benutzt hier vor allem Prüfkörper von uralten Gesteinen, die aus allen Teilen dieser Welt stammen, die nach ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung als wertloser Müll beseitigt werden.
Elektronikteile, deren Entwicklung vor gar nicht langer Zeit eine Sensation darstellte, ohne deren Existenz unser heutiger Fortschritt nicht möglich gewesen wäre, werden durch die rasante Entwicklung neuer Materialien wertlos. Caninenberg verbindet die alten Gesteine und die bedeutungslos gewordenen technischen Bausteine, um ihnen eine neue Bedeutung -auch einen Sinn?- zu geben. Um die Brüchigkeit dieser Verbindungen sichtbar zu machen, klebt er die Teile zusammen. Die Übertragung auf menschliches Leben liegt nahe.
 
Die Bedeutung des Individuums als Teil der Schöpfung wird nur zu leicht auf seine aktuelle Rolle als onierendes Element der Gesellschaft reduziert. Bei nicht ausreichendem Funktionieren wird es als wertloser Ballast empfunden.
 
Bedrohungen und Gefährdungen des Menschen sichtbar zu machen, scheinbar wertlos gewordene Dinge im Spektrum von Zeit und Raun in einen neuen Zusammenhang zu stellen, genügt C.C. nicht.
Er sucht nach Antworten und Lösungen, wie der einzelne Mensch mit den Bedrohungen und Gefährdungen umgehen kann, welche Konsequenzen für das individuelle Handeln, für die Zukunft insgesamt daraus entstehen.
Mit seiner Skulptur "objektiv" signalisiert er Verantworthchkeiten. Beim Blick in das Objektiv wird der Betrachter sich selbst entdecken. Bei größerem Abstand steht plötzlich das eigene Bild auf dem Kopf.
In seinem Objekt "handlungslos" können wir uns selbst wiederfinden. Die Gefahr der eigenen Bequemlichkeit lähmt unser Handeln, macht uns blind und taub für das, was uns umgibt. Zur eigenen Beruhigung ist eine Bremse eingebaut, die bei Betätigung den Stuhl in leichtes Schaukeln versetzt und uns Sicherheit suggeriert.
Dieses Objekt entstand vor einem Jahr als Teil einer Ausstellung zum Jahr mit der Bibel. Kritisch setzt er sich hierin auch mit dem Selbstverständnis von Christen auseinander.
Die Bibel in Verbindung mit Beruhigungsmedikamenten auf einem liebevoll mit Spitzendeckchen versehenen Nachttischschrank, die Hände bereits abgelegt, macht in dem Objekt "ablage" die Gefahr sichtbar, die empfundene eigene Ohnmacht an die Stelle von Verantwortlichkeit für das Leben, für die Schöpfung zu setzen.
Aktuelle Akzente setzt C.C. in seinem Handspielkasten. Im Sand aus dem hiesigen Spielkasten finden wir Hände. Kriegsgebiete überall auf dieser Erde fordern angemessenes Handeln. Unsere Verantwortlichkeit bei aller Ohnmacht ist gefordert.
 
Sehen, erkennen, mitfragen, nachdenken will C.C. bei uns Betrachtern provozieren. Mit seiner Form der Auseinandersetzung will er Gesprächsgrundlagen über den Menschen und seine Verantwortung schaffen. Kunst als Mittel zur Kommunikation.
 
Die drei Teile dieser Ausstellung, die in achtjähriger künstlerischer Auseinandersetzung entstanden sind, werden hier in der Markuskirche erstmals in dieser geschlossenen Form gezeigt.
C.C. zeigt uns den Menschen als Opfer. Gleichzeitig macht er aber auch deutlich, daß jeder einzelne von uns als handelnder Mensch Verantwortung tragen muß. Der Schritt vom bedrohten Opfer zum bedrohenden Täter ist sehr klein.
 
In Abwandlung des eingangs geäußerten Gedankens müßte ich mit C.C. sagen: Du wirst als Mensch in eine Welt hineingeboren, in der du dich als bedrohter aber auch bedrohender Teil der Schöpfimg begreifen mußt, als Teil, der zum verantwortlichen Handeln gefordert ist.
 
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Gedanken zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Oktober 1993 von Jürgen Schipper
 
Kunst in d er Kirche das ist nichts Unbekanntes. Jeder, der eine alte Kirche betritt, ist darauf gefaßt. Er sieht Bilder und Skulpturen, besonders beim Altar, an der Kanzel. Kaum eine alte Kirche, seit der Antike, die nicht der Malerei wie der Bildhauerei Raum gewährte. Erst in der Reformationszeit hat man diese Dinge zu entfernen versucht, übermalt oder sogar zerstört, in der Berufung auf das 1. Gebot. Ein Mißverständnis. Es gibt keinen Glauben ohne Bilder (Gottes), so wenig wie es Denken und Fühlen ohne Bilder gibt.
Wenn wir eine der alten Kirchen betreten, sind wir darauf eingestellt, viel zu sehen! Das gehört zu unserer Erwartung. Alte Kirchen, das ist das Versprechen einer ehrwürdigen Feierlichkeit. Viele suchen sie, viele suchen nur sie.
Bild Maschinenmensch III
Maschinenmensch III
Öl auf Leinwand, 130 x 110 cm, 1993
Und dabei geschieht etwas Merkwürdiges: die alten Innenräume, die Bilder und Figuren, ihr Alter müßte sie uns fremd machen. Und genau das andere ist der Fall: sie werden uns als Zeugen einer vergangenen Zeit vertraut. Doch das ist nicht unproblematisch. Unser Bedürfnis nach Feierlichkeit kann uns das, was wir da sehen, gerade entziehen, verdecken. Wir sehen nicht mehr den Prozeß in dem die Biider, die Figuren entstanden sind, der voller Schmerzen war, weil befaßt mit den Widersprüchen des menschlichen Lebens, seiner unaufhörlichen Dunkelheit. "Kunstgenuß" - das war schon immer der Ausdruck der Vergessenheit von Kunst im Modus von Kultur!
Noch etwas trennt uns von der Kunst in den alten Kirchen, die fraglose Anerkennung einer christlichen Glaubenswelt und ihre kollektive Einbindung in die Lebensordnungen der Kirche. Ich denke, daß diese Welt vergangen ist, darum werden wir keinen Dom mehr bauen.
 
Zeitgenössische Kunst in der Kirche ist statt dessen der Versuch, Bilder zu zeigen, die nicht kirchlich gebunden sind. Die nicht vom Wahrheitsanspruch vorgegebener Symbole reguliert werden. Bei denen Wirklichkeit offen bleibt, alarmierend, oder voll Klage und Lebenslust.
Bilder, die uns aus der täglichen Flut der Zeichen und Signale, die wir doch längst verinnerlicht haben, ein wenig heraushelfen, zum Betrachten führen können, ohne jedoch unsere Sehgewohnheiten zu bestätigen.
Der kirchliche Raum nimmt Bilder auf, die von außen kommen, die hier niemals hätten entstehen können, die ihre eigene Gestalt und Sprache mitbringen. Die Bilder wollen sich dem Raum Kirche und seiner wortlosen, kultischen Sprache nicht andienen, statt dessen mit 'eigener Zunge sprechen'. Doch auch der Raum gibt sich nicht auf, er neutralisiert sich nicht zur Galerie, er bleibt Kirche.
 
Die Bilder sind nicht im Gehäuse einer christlichen Glaubenswelt gewachsen, sie werfen von außerhalb einen Blick darauf. Die Fremdheit ist ihnen eingraviert. Diese zeigt den Verlust der Bedeutungsgewißheit an, eine zentrale Erfahrung der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Wahrnehmung der Außen- und Innenwelt, der Menschen und der Dinge wird destabilisiert, verliert die eindeutigen Konturen. Ich erläutere dies mit einem Zitat des russischen Sprachtheoretikers Viktor Sklovskij (von 1916!):
"Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstands zu vermitteln, als Sehen und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der Verfremdung der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert...".
Zeitgenössische Kunst "will immer wieder bequeme Identifikation verweigern, will Mühe fordern, will schwierige Übereinstimmung" so der Maler Volker Stelzmann. Statt der Bestätigung unserer Sehgewohnheiten- ein erschwertes Sehen. Damit reagiert die Kunst auf eine Verfassung des Wirklichen, die eine einfache Sinngebung alltäglich- ad absurdum führt, die dank des Zugriffs der Menschen auf Katastrophen ausgelegt ist, und darüber hinaus prinzipiell offen bleibt, vieldeutig, diffus, unsicher.
Dies muß deutlich bleiben, wenn man zeitgenössische Kunst in die Kirche bringt. Es kann nicht darum gehen, mal dies, mal das zu zeigen. Es bedarf der Mühen der Reflexion. Wie auch sonst. Damit Glaube sich aus der Watteschicht der Harmlosigkeiten löst, in die man sie so gerne bettet.
Wo zeitgenössische Kunst in kirchliche Räume gerät, ist man nämlich auf dem Sprung, sie zu beschneiden, sorgen Ängste dafür, über die fremden Epiphanien ein Netz zu werfen, das mit seinen Maschen die vertrauten Muster wiedererkennen läßt, die den 'Exodus' ersparen.
Wir brauchen solche Bilder,weil sie die Welt vor Augen rücken ohne Vermittlung durch überkommene Glaubensvorstellungen.
 
Es ist die nicht empfundene, nicht erfaßte, nicht erlittene, nicht geglaubte Wirklichkeit der Welt Gottes, vor der wir uns verschanzen, und in die die Bilder einen Blick tun können.
 
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